Till Bastian erinnert und mahnt. Eine Art Rezension.
Der Engelsdorfer Verlag in Leipzig1 hat genau einen Tag vor dem 16. Juli 2025 ein bemerkenswertes Büchlein herausgebracht:
Bastian, Till (2025): 1945 – 2025. Über die Geschichte der Atombombe und die durch sie ermöglichte Selbstvernichtung der Menschheit.
In elf kurzen Kapiteln entfaltet Bastian ein Drehbuch für die Phantasie, für einen inneren Film seiner Leserinnen und Leser. In ihm kommen nicht nur Daten und Fakten vor, gelegentlich minutengenau wie die erste Atomexplosion am 16. Juli 1945. Zu diesem Material gesellen sich – hinter wenigen Sätzen aufblitzende – Porträts derer, die beteiligt und mitschuldig waren an einer Forschung und Entwicklung, die schließlich im menschenverachtenden, gewissenlosen Abwurf zweier US-amerikanischer Atombomben auf Japan gipfelte.
Eingeflochten in das kleine Buch sind mahnende Stimmen, eine der frühesten ist die des neuseeländischen Physikers Ernest Rutherford2 im Jahre 1903:
„Wenn ein geeigneter Zünder gefunden würde, ist es denkbar, daß sich durch die Materie eine Welle des atomaren Zerfalls explosiv fortpflanzt, die diese alte Erde in Asche verwandeln könnte ... Irgendein Gimpel in seinem Laboratorium könnte unversehens die ganze Welt in die Luft sprengen.“3
Zwei gegenwärtige Stimmen seien zitiert, die es allerdings schwer haben, gehört zu werden infolge der Pistoriusierung Deutschlands und Europas, d. h. in einer Zeit der vielschichtigen medialen und politischen Beschwörung eines kommenden Krieges.
1. Zunächst Hans Kristensen vom schwedischen Friedens- forschungsinstitut SIPRI, der im Juni 2025 bedauernd feststellte:
„Die Ära der Verringerung der weltweiten Atomwaffenzahl, die seit dem Ende des Kalten Krieges andauerte, geht zu Ende. Stattdessen beobachten wir einen klaren Trend hin zu wachsenden Atomwaffenarsenalen, verschärfter nuklearer Rhetorik und der Aufkündigung von Rüstungskontrollabkommen.“4
2. Schließlich Till Bastian selbst:
„Es bleibt die bittere Erkenntnis: Solange es Atomwaffen gibt, besteht auch die Gefahr ihres Einsatzes.
Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Atomwaffen-Verbotsvertrag leider noch nicht beigetreten. Im Gegenteil: Es gibt etliche Politiker, die „europäische“ Atomwaffen fordern – so Katharina Barley von der SPD (Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024), der ehemalige Außenminister Joschka Fischer von den GRÜNEN und der frühere Finanzminister Christian Lindner von der FDP.“5
Der schmale Band, den wir hier empfehlen, spiegelt ein großes Verdienst seines Autors. Till Bastian stellt die Atombombe und die „durch sie ermöglichte Selbstvernichtung der Menschheit“ als das heraus, was sie sind: das elementarste philosophisch-weltanschauliche und zugleich politisch-pragmatische Problem unserer Zeit. Diese Wahrheit zu leugnen, sie nicht wahrhaben zu wollen, ist unverzeihlich. Und ist gleichzeitig Standard nicht nur in der deutschen Gesellschaft.
Das Büchlein ist zugleich durchgehend ein Appell und eine Mahnung an alle, ihre Stimme zu erheben, darin nicht müde zu werden. Keinesfalls das stumm hinzunehmen, was die innerste Tragödie dieses Landes ist: Gimpel, wie Ernest Rutherford solche Gestalten nennt, regieren uns, wie es scheint. Gimpel, die durch ihre Aufrüstung und ihre Kriegsrhetorik wahnwitzig einen dritten, diesmal kurzen, weil atomaren Weltkrieg in Kauf nehmen. Ihn geradezu herbeireden.
Der Umstand, dass die „Kriegstüchtigkeit“ als Begriff wie ein Gifthauch schier ungehindert durch die BRD zieht, kennzeichnet den Verfall jeglicher tiefer greifenden gedanklichen Kultur in Pistorius-Country.
Es gab Zeiten, wo an deutschen Gymnasien Theaterstücke wie Friedrich Dürrenmatts »Die Physiker« (1962) oder Heinar Kipphardts »In der Sache J. Robert Oppenheimer« (1964) Pflichtlektüren in der Oberstufe waren. In beiden geht es aus verschiedenen Perspektiven um die Verantwortung von Wissenschaftlern Wissenschaftlerinnen gegenüber sich selbst und gegenüber der Gesellschaft. Das war eine gute Zeit mit einer lebendigen Kultur. Es wurde gedacht, diskutiert. Long time ago.
Heute, so ist zu befürchten, sind bald die diejenigen Lehrkräfte die besten Pädagoginnen und Pädagogen, die am heftigsten den Willen zur „Kriegstüchtigkeit“ ihrer Schutzbefohlenen entfachen und fördern. Stellt sich die Frage, wann der Herr Verteidigungsminister ganze Lehrerkollegien zur Fortbildung ins EU-Mini-Ländchen Lettland abkommandieren wird. Da gibt es ‚Großartiges’ zu sehen. In den Klassen 10 und 11 ist „Landesverteidigung“ einschließlich Schießausbildung und „Orientierung im Gelände“ Pflichtfach an allen Schulen. Wasserpistolen und quiekendes Schreien und Davon-Rennen waren mal.
Die ARD hat im März 2025 eindrückliche 5:39 min dazu gedreht6 und schreibt dazu auf ihrer Website7:
„Die Aufrüstung beginnt in Lettland schon im Klassenzimmer. Seit diesem Schuljahr haben alle Schülerinnen und Schüler der 10. und 11. Klassen verpflichtend Verteidigungsunterricht. Dabei lernen sie den Umgang mit Schusswaffen oder wie man sich im Gelände nur mit einem Kompass orientiert. Wie ernst Lettland die russische Bedrohung nimmt, zeigt sich auch daran, dass das Land eine eigene Produktion gepanzerter Fahrzeuge gestartet hat. Außerdem wird Russisch aus den Schulen verbannt und Sprachtests von russischen Staatsbürgern gefordert. Das sorgt für Spannungen – zum Beispiel in der Stadt Daugavpils, wo die meisten Menschen Russisch sprechen.“
Anmerkungen
1 https://www.engelsdorfer-verlag.de/, abgerufen am 04.08.2025.
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Ernest_Rutherford, abgerufen am 04.08.2025.
3 Bastian, S. 8.
4 Bastian, S. 57.
5 Bastian, S. 56f.
6 https://www.ardmediathek.de/video/europamagazin/lettland-schulfach-verteidigung-und-russisch-verbot/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2V1cm9wYW1hZ2F6aW4vODg4ZjExOWMtN2ZmYi00ODlkLTg1NmEtMDZiOWJlYWY1NWU2, abgerufen am 04.08.2025.
7 S. Anmerkung 6.
Anhang
Für die KI gilt in besonderem Maß die alte Kalauer-Abkürzung: MVZG („mit Vorsicht zu genießen“). Doch hier gibt es nichts zu mäkeln, bei ChatGPT findet sich als Resümee:
🎯 Fazit
„1945 – 2025“ ist eine ambitionierte Arbeit, die das Thema Atomwaffen über den militär-historischen Rahmen hinaushebt. Sie lädt zur Reflexion ein: Wie verändert sich unser Verhältnis zur Macht, wenn wir – als Spezies – die technische Fähigkeit besitzen, uns selbst auszulöschen? Für alle, die über Fakten hinausdenken wollen, bietet das Buch wertvolle Impulse.
04.08.2025
K.Sch.