Gespräch mit einem streitbaren Priester und Kriegsgegner
Serie / „Gar nicht – geht nicht“ / № 1
Die Vorgeschichte ist schnell skizziert. An einem launischen Aprilmorgen, kurz vor sieben Uhr, Herumhantieren in der Küche, bald kommen die Nachrichten. Davor wohl der übliche „religiöse“ Spot. Doch es kam ein ganz besonderer.
Eine vernichtende Abrechnung mit Rüstung und Militär, die schneidende Anklage, beide „schänden auch die Schöpfung im Übermaß“. Mit ruhiger, sicherer Stimme vorgetragen, hinführend zur biblischen Vision des Propheten Micha: Erst wenn wir vollständig „Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln umschmieden“ wird „ein jeder unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum wohnen können“. In Frieden. Der Mini-Abspann: Paul Schobel, Böblingen, katholische Kirche.1
„Mit dem Mann muss ich in Kontakt kommen“ ist meine, mich selbst überraschende Reaktion. Wenige Tage später sitze ich am Telefon, den Text des „Anstoßes“2 von jenem Morgen und seine Rede beim Ostermarsch 2024 in Saarbrücken3 neben mir. Wir hatten ein Gespräch verabredet.
Auf meine Frage, wie er zum entschiedenen, in der katholischen Kirche gelegentlich umstrittenen Kriegsgegner wurde, ordnet Paul Schobel kurz biografisch ein: Als jungen Priester in der Jugendarbeit habe ihn 1970 Bischof Leiprecht beauftragt, eine Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerer für die Diözese Rottenburg-Stuttgart aufzubauen. Die bald folgenden Sitzungen vor den Prüfungsausschüssen an der Seite der Kriegsdienstverweigerer prägten ihn. Seither habe ihn der "Wahnsinn Krieg“ nicht mehr losgelassen, auch als die KDV-Arbeit nicht mehr geleistet werden musste. Treu geblieben aus dieser Zeit ist er seiner Mitgliedschaft bei pax christi, der international tätigen katholischen Friedensbewegung.
Wieder die ruhige, starke Stimme, die einen seinen Geburtsjahrgang 1939 vergessen lässt. Doch anders als im Radio ist Paul Schobel am Telefon dynamischer. Sein Sprechen wird immer dann schnell, leidenschaftlich, wenn ein bestimmter Gesprächsgegenstand ihn vorwärts treibt.
Vorweggenommen sei hier etwas sehr Bemerkenswertes am Gespräch:
Paul Schobel ist ein Leidender. Er leidet daran, dass der Krieg anscheinend unausrottbar ist. Für dieses Leiden schämt er sich nicht.
Die verabredeten drei Kapitel, die unser Gespräch strukturieren sollten, haben wir freilich nur andeutungsweise eingehalten:
1. die Vision
2. die Diagnose
3. der mögliche Weg
Unser Gespräch war lebendig und außerordentlich persönlich. Denn mit uns waren zwei Menschen zusammengekommen, die zur irreversibel aussterbenden Gruppe derer gehören, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder miterlebt haben, ihn in sich tragen, jeden Tag.
1. die Vision
2. die Diagnose
3. der mögliche Weg
Unser Gespräch war lebendig und außerordentlich persönlich. Denn mit uns waren zwei Menschen zusammengekommen, die zur irreversibel aussterbenden Gruppe derer gehören, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder miterlebt haben, ihn in sich tragen, jeden Tag.
Die Vision
Paul Schobels Vision ist eine Welt ohne Krieg, ohne Waffen. Diese Vision ist für sein Leben zentral geworden. Theologisch nicht glatt und geschmeidig herzuleiten, da gibt es das Alte Testament. Doch schon allein auf die Psalmen gestützt und dann vollends auf das Gebot der Feindesliebe im Neuen Testament, ist sich Schobel einer Sache absolut sicher. Jesus hat die Gewissheit in die Welt gebracht: Die Spirale der Gewalt kann nur durch Gewaltfreiheit durchbrochen werden. Diese Gewissheit ist Grund zur Hoffnung. Diese Gewissheit wird Paul Schobel weiter durch sein Leben begleiten.
Doch er leidet auch darunter, dass es schier unmöglich scheint, diese Gewissheit in die Gesellschaft und in die Politik hineinzutragen, sie dort umzusetzen.
Doch er leidet auch darunter, dass es schier unmöglich scheint, diese Gewissheit in die Gesellschaft und in die Politik hineinzutragen, sie dort umzusetzen.
Die ausweglose Situation in der Ukraine wie auch in Gaza sieht er als umfassendes Versagen der Diplomatie. Durch dieses Versagen schimmern unverhohlen Machtinteressen verschiedenster Gestalt durch. Die Geschichte wird von der Zeit, in der wir gerade leben, so Paul Schobel, als einer Zeit des absoluten Bankrotts der Diplomatie sprechen. Möglicherweise von einem finalen.
Würde die „Feindesliebe“ der Bibel als „Entfeindung“ erklärt und erläutert, als das allseitige Nicht-Zulassen der Kategorie „Feind“, dann wäre das die politische Form der biblischen Feindesliebe.
Der Frieden sei nicht „billig“ zu haben, weiß Paul Schobel, er kostet Anstrengungen. Ihn trifft tief, dass bei den aktuellen Krisen an eine Pendeldiplomatie nicht einmal gedacht wird. Geschweige denn, dass sie geduldig, in kleinen Schritten betrieben würde. Dieser unverzeihliche Verzicht auf die Diplomatie erschüttert den ansonsten gefassten Mann hörbar. Ein einziges Mal im Gespräch zögert seine Stimme, wird verhalten, lässt einen Anflug von Resignation ahnen: „Wir Deutschen wären die Berufenen gewesen.“ Zu Friedensstiftern berufen durch unsere Geschichte, nicht zuletzt auch wegen der Verbrechen, die in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs im Namen Deutschlands begangen wurden.
Die Diagnose
Hinter seiner Diagnose des Zustands von Gesellschaft und Politik in unserem Land kocht eine Wut. Seine sich selbst zugestandene Wut darauf, dass besonders die Politik unverblümt und schamlos im krassen Gegensatz zur christlichen Vision der Liebe und der Gnade handelt. Schobels „diagnostische“ Sprache ist hart, derb, nahezu unversöhnlich. „Pervers“, „Kriegsbesoffenheit“, „Schüttelfrost und Fieberwahn“, „Wahnwitz“, „Verbrecher“ sind Vokabeln, die er nicht scheut.
Wie Papst Franzikus sieht er jeden Krieg als einen Rückschlag in der Menschlichkeit. Für Paul Schobel auf zwei Ebenen: der des Verstandes und der des Herzens. Absolut hirnlos ist es für ihn, junge Menschen immer und immer wieder in Kriegen aufeinander los zu hetzen. Auf ihr Herz zu hören, werde Soldaten völlig abtrainiert, an diese Stelle tritt für Schobel der völlig irrsinnige, absolute Gehorsam, die Bereitschaft zu allem.
Wenn Hirn und Herz ausgeschaltet werden, dann ist das Desaster der Entmenschlichung komplett.
In einem kurzen Exkurs zum Philosophen Immanuel Kant und seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ verständigen wir uns darauf, dass auch bei ihm Frieden gestiftet, erarbeitet werden muss.
Paul Schobel steht dem Weltbürgertum positiv gegenüber, es berühre sich mit der Vorstellung Kants, eine Weltgesellschaft zu etablieren. Schobel sieht in der UNO bzw. in ihrer jetzigen Verfassung kein taugliches Mittel, eine Weltgesellschaft voranzubringen. Und doch glaubt er, es könne einmal eine „Welteinheit“ geschaffen werden, um den Krieg endgültig unmöglich zu machen.
Ein Weg hinaus
Der Frieden sei kein Wolkenkuckucksheim, keine irreale Idee. Er lässt sich erklären, man kann für ihn werben. Schobel ist nach wie vor fasziniert von dem einfachen Spruch: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“
Jeder kleine Schritt sei wichtig. Auf der Ebene der Länder müsse dringend an einer neuen Phase der Abrüstung gearbeitet werden. Auch wenn diese im Augenblick in weiter Ferne zu liegen scheint.
Viel zu wenig beachtet wird nach seiner Ansicht, dass wir auch und gerade auf der individuellen Ebene in einer äußerst unfriedlichen Welt leben. Die kleinen erbitterten Fehden, die Erbstreitigkeiten, die Missgunst. Wie blödsinnig und unnötig Menschen sich das Leben schwer machen, vergällen. Paul Schobel nimmt an, dass diese Grundstimmung sich auf der gesellschaftlichen Ebene in eine Kriegsbereitschaft hinein verdichten kann. Es gebe für die individuelle Ebene kaum Strategien, Konflikten gewaltfrei zu begegnen.
Er nennt ein Beispiel aus seiner Beratertätigkeit jetzt als pensionierter Geistlicher. Erzieherinnen, die mit ihm an einem Strang ziehen, berichten, wie nach einer tollen Arbeitseinheit zur Überwindung von Gewalt die Kinder wieder und wieder von Zuhause mitbringen: „Mein Papa hat gesagt, wenn dir einer …, dann hau zu!“ Dabei wäre es wichtig, Kinder auf die – wie Schobel sagt – größte Herausforderung beim Durchbrechen der unheilvollen Gewalt-Strukturen vorzubereiten. Nämlich auf die Herausforderung, selbst, im eigenen Dasein, gewaltfrei zu leben.
Der Friede beginne weit unten, das Ziel müsse sein, dass der Krieg ein No-Go werde.Als Einzelner könne er für die Friedfertigkeit, also für die Bereitschaft der Menschen zum Frieden, beten und sich dafür einsetzen. Den Frieden operativ wieder herstellen müssten die, die den Krieg ermöglicht haben und ihn führen.
Zum „Anstoß“ vom 16. April zurückkommend, berichtet Paul Schobel, dass 99% der Rückmeldungen zu diesem Hörbeitrag – dem Anlass für unser Gespräch – zustimmend und begeistert waren. Er hatte mir vorher schon geschrieben: „Ich schwimme geradezu auf einer Woge von Begeisterung und Zustimmung“. Wohl wissend, dass dieses „Ergebnis“ nicht repräsentativ ist, hat Schobel den begründeten Verdacht – Umfragen unterstützen das – die Menschen in Deutschland denken über Krieg und Frieden längst ganz anders als die Regierung in Berlin.
Es gibt Hoffnung.
Ich habe mich herzlich bei Paul Schobel bedankt für ein denkwürdiges Gespräch mit einem liebenswerten Menschen.
Es ist uns eine besondere Freude und Ehre, mit diesem Gespräch unsere Serie „Gar nicht – geht nicht“ beginnen zu dürfen.4
Klaus Schittich
3 Paul Schobel: Rede beim Ostermarsch Saarbrücken am 30.03.2024 (PDF)
4 Einführung
zur Serie: "Gar nicht – geht nicht"