Kardinal Kurt Koch segnet das Bild von Max Josef Metzger, Foto: BZ/Maximo-Hans Musielik.

Was aus dem geistigen Erbe des katholischen Pazifisten werden mag


Der Anlass

„Geistliches Schauspiel, ja, das können die Katholiken“, könnte eine flapsige Reaktion sein auf eine höchst seltene Veranstaltung im Freiburger Münster. Selten selbst in einem Jahrhundert-Maßstab. Die Rede ist von der Feier zur Seligsprechung des pazifistischen Märtyrers Max Josef Metzger am 17. November 2024, gut 80 Jahre nachdem die nationalsozialistischen Verbrecher ihn durch das Fallbeil ermordeten.

Nicht in einer weiten, grauen Vorzeit, nein, in meiner Lebenszeit. Nach einem Todesurteil, im Namen des deutschen Volkes verkündet. Genau genommen auch in meinem Namen? Anlass genug, hier in der Ich-Form zu schreiben und stärker als sonst als Person präsent zu sein.


Das Event
Als Mitglied der Regionalgruppe [wörtlich: des Diözesanverbandes] Freiburg der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi1  saß ich „in der ersten Reihe“. Gekonnt durchorganisiert allein schon der Weg zu den reservierten Bänken. Ständer und Bänder wie am Flughafen, eine Mit-Helferin geleitet uns. Zwei Stunden und 15 Minuten lang dann ein umfassendes ‚Angebot' für alle Sinne. Der mächtige Einzug der geschätzt sechs, sieben Dutzend Akteurinnen und Akteure, Gewänder und Kopfbedeckungen in unzähligen Farben und Formen, Würdenträger anderer Religionen, die Kantorei, furios brüllende Orgelmusik, Wechselgesänge mit einem ‚Publikum', das das Münster mehr als füllte, das Ritual der Eucharistie.
Schließlich Weihrauch allenthalben und die Akrobatik einer Ministrantin, die das eifrig rauchende ‚Fass' nicht nur artig hüfthoch vor sich her schwenkt. Wie geheimen Zeichen folgend schleudert die junge Frau hin und wieder das von Ketten gehaltene Gefäß hoch über ihren Kopf und schreibt damit mächtige, rauchende Kreise in den hohen Kirchenraum2.

Die Kernszene

Kann solch ein Schauspiel etwas mit einem machen, der nicht katholisch ist? Die Kernszene des Schauspiels, die eigentliche Seligsprechung, war bewegend. Kardinal Kurt Koch, ein Schweizer Geistlicher, nahm sie vor – in Stellvertretung des Papstes aus Rom angereist. Auf eigentümliche Weise trat der Inszenierungscharakter des Ganzen an dieser Stelle zurück und machte Platz für stille, authentische Momente. Das mannshohe, mit weißem Tuch bedeckte Porträtbild Max Josef Metzgers wurde unendlich langsam, nach oben hin, Zentimeter um Zentimeter enthüllt. Diese würdevolle Langsamkeit schien auf geradezu magische Weise den Menschen Max Josef Metzger in diese Kirche und in diesen Augenblick hereinzuholen.

Die Wiederbegegnung
Für mich war die Seligsprechung eine Wiederbegegnung mit meiner Vorstellung von einem Menschen, der seiner Zeit himmelweit voraus war. Nachdem ihn seine Erlebnisse als Feldgeistlicher im Ersten Weltkrieg zum Pazifist gemacht hatten, hörte Max Josef Metzger nie auf, für den Frieden einzutreten. Im eigenen Land ebenso wie im europäischen Ausland, immer den Kontakt zu Gleichgesinnten suchend. Auch zu jenen, die von den führenden Kleingeistern seiner Zeit unverbrüchlich als „Feinde“ ausgemacht wurden. Das sog. Vaterland engte ihn nicht ein, er bekannte sich zur Freundschaft mit allen Kriegsgegnern, egal in welchem Land, egal ob Sozialisten oder Kommunisten. Allein schon seine hellsichtige Vision eines geschwisterlichen, friedfertigen Europas macht ihn zu einer der Hauptfiguren des Pazifismus im 20. Jahrhundert. Seine Reden und Schriften offenbaren u. a. eine radikale Relativierung der Rolle des Staates, die an das Denken philosophischer Anarchisten erinnert.

Dazu zwei Text-Partikel als Beispiel:
„Aber das ist eben das Entscheidende, daß die Völker fast gleichviel, ob sie nun in »Monarchien« oder »Demokratien« leben, eine bemitleidenswerte massa damnata Entrechteter und Betrogener darstellen, die auf die Entscheidung von Krieg und Frieden soviel wie gar keinen praktischen Einfluß haben, vielmehr in der Hand uneinsichtiger oder gewissenloser Staatsmänner oder deren Drahtzieher ... als bloßes »Menschenmaterial« für bestimmte Zwecke oder Interessen mißbraucht werden.“

Noch deutlicher mit Blick auf die sog. Wehrpflicht:
„Dieser in der allgemeinen Kriegsdienstpflicht zum Ausdruck kommende schrankenlose Machtanspruch des Staates, seine Bürger für die von den Politikern und deren Hintermännern als heilige vaterländische Aufgabe ausgegebenen Zwecke zu gebrauchen und zu mißbrauchen, ist der Untergrund, auf dem die Kriegspolitik von heute verankert ist. Hier ist der entscheidende Punkt, an dem weitausgreifende Friedenspolitik auch einsetzen muß: Sie muß den Staat seines Götzentums entkleiden und ihn auf seine naturrechtlich gegebenen Gewalten und Rechte beschränken.“3

Für mich eine Wiederbegegnung. Denn mir war bei der Mitarbeit am Film „tun wir. tun wir. was dazu. – Pazifisten, Widerständige, Visionäre. Freiburger*innen in Zeiten von Krieg und Frieden“4 neben Erasmus von Rotterdam auch und besonders Max Josef Metzger ans Herz gewachsen. Der Film in Spielfilmlänge widmet ihm mehrere eindrucksvolle Sequenzen.
Ich verehre seither Max Josef Metzger als anarchistischen, pazifistischen Weltbürger, als Kosmopoliten, dessen Liebe zu den Menschen und dessen Verantwortung für sie unteilbar waren, an keiner Grenze endeten. Die verbrecherischen Konformisten der schrecklichsten Epoche der Geschichte unseres Landes konnten, wollten und durften ihn nicht verstehen. Sie brachten ihn um.

Das Erbe
Es ist erfreulicherweise schon einiges über Max Josef Metzger geschrieben worden, vieles steht noch aus. In den Anmerkungen findet sich eine minimale Auswahl5.
Kommen wir zu den Fragen in der Überschrift zu diesem Beitrag. Den Ausschlag zur Seligsprechung und damit zum Bekanntwerden Max Josef Metzgers im globalen Rahmen der katholischen Weltkirche hat sein Sterben als Märtyrer des Glaubens gegeben. Und genau das könnte der Pferdefuß der ganzen Angelegenheit sein. Man kann – in katholischer Spiritualität empfindend – in Kontakt zu Max Josef Metzger treten, ohne gleichzeitig seine radikale Friedensbotschaft zu verinnerlichen.
Der Freiburger Erzbischof Burger sagt im Video-Clip des SWR Schönes zu Max Josef Metzgers Friedenspolitik, unterstützt dabei aber unüberhörbar meine Annahme, meine These. Er sagt dort: 
„Der Krieg ist, als ultima ratio, für ihn nie akzeptabel dann gewesen ...“ Sekunden später: „... aber das Entscheidende für mich ist eben, dass er, gerade auch in der letzten Lebensphase im Gefängnis, in eine Christusbeziehung hineingereift ist, ja, die mich wirklich erstaunt und auch ihn bewundern lässt.“6
Und, wohl kein Zufall, derselbe Erzbischof Burger lässt sich wenige Tage später von den Vatican News so zitieren:
„Die Antwort auf den russischen Angriffskrieg muss eine militärische Unterstützung für die Ukraine beinhalten...“  Und kurz später: „Dass wir für eine langfristige Friedenssicherung auf militärische Abschreckung nicht verzichten können, steht für mich außer Frage.7

Meine bange Sorge um das Erbe des pazifistischen Märtyrers Metzger ist offenkundig mehr als berechtigt. Dass die offizielle Kirche ihren neuen Seligen auf einen lieblichen Sockel stellen wird, ist zu befürchten. Der Freiburger Erzbischof hat ja auch – wie gezeigt – seinen Schäflein gleich die Handreichung dazu geliefert: Das Entscheidende sei die Christusbeziehung des Seligen, die solle man an ihm bewundern.

Also doch eine bombastische Show und dann, was die Leidenschaft des Seliggesprochenen für den Frieden angeht: Lieber mal langsam tun? 


Die Hoffnung
Nachrichten wie diese: „Friedensbewegung Pax Christi begrüßt Kürzungen der Ukraine-Hilfe“8 bewegen sich z. Zt. eher in wohlwollenden katholischen Medien, haben den Sprung in die sog. ‚Leitmedien' unseres Landes noch nicht geschafft. Pax christi ist gut beraten, an Max Josef Metzger „dranzubleiben“, ihn zu ihrem Seligen zu machen, in seinem Namen aktiv zu werden, in seinem Namen aufsässig zu sein. Es sollte die Strategie von pax christi werden, denjenigen Kirchenoberen, die berufsbedingt mehrere Seelen in ihrer Brust haben, permanent und aktiv auf die Nerven zu gehen. Und von ihnen eindeutige Bekenntnisse zur kompromisslosen Friedensbotschaft des Christentums zu fordern.
Und gleichzeitig kann und darf pax christi in geschwisterlicher Fürsorge auf die Mitmenschen zugehen – nicht nur auf die katholischen Mitschwestern und Mitbrüder. Denn nach meiner Erfahrung sind sehr viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger angewidert von den kriegsfördernden Strategien und Phantasien der meisten Politikerinnen und Politiker im Land. Gewiss mehr Bürgerinnen und Bürger als diese Politikerinnen und Politiker wahrhaben wollen. Wer ist denn schon ernsthaft begeistert von der so dummdreisten wie gefährlichen Vokabel der „Kriegstüchtigkeit“, die der Noch-Verteidigungsminister als Parole ausgegeben hat?


Ein Resümee

Ich komme zurück zum persönlichen Kontext dieses Beitrags. Was wie eine Werbung für pax christi anmuten mag, ist auch eine. Dort Mitglied zu werden, heißt nicht, katholisch zu werden, um es ganz banal auszudrücken. Nach der Religion oder Ähnlichem wird nicht gefragt, niemand wird zum Beten, zu Andachten oder zu theologisch ausgerichteten Wochenend-Seminaren gezwungen. Wohl aber freundlich eingeladen. Nach meinem Eindruck leben wir in einer immer seelenloser, immer kälter werdenden Gesellschaft, die in ihrer Orientierungslosigkeit dabei ist, kapitalistisch-egoistische Prinzipien für Werte und Tugenden zu halten.

Man braucht die christlich-katholische Grundlage von pax christi nicht in allen Dimensionen zu teilen. 
Man kann aber dazugehören und die gemeinsame Basis der Mitglieder als Anfrage erleben. Als Frage an sich selbst, als Frage nach dem tieferliegenden Grund der eigenen Überzeugung und des eigenen Handelns. Ohne einen tieferliegenden Grund im besprochenen Sinn – das ist eine mich prägende Erfahrung – kann sich der lange Atem nur schwerlich einstellen, den jedes Bemühen um Frieden, Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit braucht. 
Die Seligsprechung Max Josef Metzgers muss und wird Legitimation, Antrieb und Bestätigung für die Mitglieder von pax christi sein.


Denn, hören wir nochmals den Seligen selbst, der 1929 noch nicht wissen konnte, dass Menschen einmal Atombomben abwerfen und danach unaufhörlich weiter mit deren Einsatz drohen werden, dem ein möglicher nächster konventioneller Krieg schon genug Entsetzen bereitete:

„Wer einen Funken wahren Menschentums in sich trägt, wer erfaßt ist von den Kräften des Christentums, wahrlich, der müßte angesichts der Tatsachen, die ich zitiert habe, gewissenlos, ja ein Verbrecher genannt werden, wenn er nicht bereit wäre, seine ganze Kraft einzusetzen, um dieser drohenden Katastrophe der Menschheit Einhalt zu gebieten."9
 

In diesem Sinne bekenne ich, begeistert und frohen Mutes, bei pax christi zu sein.  

14.12.2024 

Klaus Schittich

Anmerkungen

1 Website des Diözesan-Verbands [abgerufen am 14.12.2024].
   Website von pax christi in Deutschland [abgerufen am 14.12.2024].
SWR-aktuell vom 17.11.2024 , dort Video ab min 00:58. Der Clip zeigt ganz kurz ihr Meisterstück,
nämlich die Kreisbewegung wieder abzufangen [abgerufen am 14.12.2024].
3 Max Josef Metzgers Rede auf dem Internationalen Kriegsgegnertag Pfingsten 1929 in Den Haag (Auszug),
zitiert nach jochenteuffel.com [abgerufen am 14.12.2024].
4 Flyer zum Film, PDF.
5 Über Max Josef Metzger:

5.1 Konradsblatt der Erzdiözese Freiburg vom 16.04.2024 [abgerufen am 14.12.2024].
5.2 Text: Dr. Peter Bornhausen (Bistum Augsburg) vom 17.04.2024 in: pfarrbriefservice.de, https://www.pfarrbriefservice.de/file/maertyrer-fuer-frieden-und-einheit [abgerufen am 14.12.2024].
5.3 pax info, Nr. 81 vom Mai 2024, S. 4 f. [abgerufen am 14.12.2024].
5.4 pax info, Nr. 83 vom Dezember 2024, S. 4 mit weiterführendem Link [abgerufen am 14.12.2024].
5.5 Badische Zeitung vom 18.1.2024 [abgerufen am 14.12.2024].
6 S. Anm. 2, Video ab min 00:20.

7 Vatican News vom 09.12.2024 [abgerufen am 14.12.2024].
8 katholisch.de vom 19.08.2024 [abgerufen am 14.12.2024].
9 S. Anm. 3.

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