Todbringende Idylle am Bodensee

„Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure – und kaum eine Region beherbergt mehr Rüstungsbetriebe als der Landstrich am Bodensee. Dort duldet man sie gern.“
Mit diesem Vorspann leitet Class Tatje seinen Artikel „Heile Welt“ vom 08. November 2010 in Zeit-Online ein. Der vier Jahre alte Text ist immer noch aktuell, besonders in den Passagen, wo er die intellektuelle und emotionale Befindlichkeit der Akteure auf der Seite der Rüstungsbetriebe sowie von Akteuren auf der Seite der Gesellschaft am Bodensee ausleuchtet.

Zwei Jahre jünger ist der Artikel „Bombengeschäfte am Bodensee“ von Susanne Stiefel im „Kontext“, sein Vorspann stößt ins gleiche Horn: 
„Minen, Panzer und Raketen? Hier doch nicht. Nicht in dieser scheinbar heilen Welt von sauber geweißelten Orten und Segelbooten vor malerischer Alpenkulisse. Doch die Bodenseeregion ist einer der wichtigsten Rüstungsstandorte in Deutschland. Hier werden Waffen produziert, die anderswo töten. Und kaum einer spricht darüber.“
In beiden höchst lesenswerten Artikeln spielt Überlingen mit seinem größten Arbeitgeber Diehl-Defence eine wichtige Rolle. Der florierende Rüstungsbetrieb Diehl-Defence  ist nämlich dafür verantwortlich, „dass Überlingen auf den Landkarten der Rüstungsstandorte unter den Top 5 in Deutschland geführt wird“ ( Südkurier vom 29.09.2014, J. Grässlin zitierend).

In Überlingen, in einer Stadt voll stummem Selbstbetrug, zwischen Tourismus und Rüstungsindustrie, zwischen „Kultur am See“ und blankem, ökonomisch verbrämtem Zynismus, muss es besonders mutig erscheinen, am Schleier der Selbstgefälligkeit zu zerren und „mit Pauken und Trompeten gegen Drohnen und Raketen“ aufzustehen.

Genau das passierte einen Tag vor Allerheiligen im sonnendurchfluteten  Überlingen. Gut 70 Rüstungsgegnerinnen und Rüstungsgegner folgten dem Aufruf des Vereins „Keine Waffen vom Bodensee“ (KWvB) und demonstrierten eindringlich gegen die Rüstungsproduktion in der Kleinstadt am See. Gleichzeitig wollten die Demonstrantinnen und Demonstranten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Diehl-Defence zum Nachdenken, ja vielleicht zum Umdenken einladen.


 Opfer klagen an: Stumme Mahnung vor Diehl-Defence  
Die „Waffen“ der Protestierenden waren ein Megaphon, Spruchbänder, Spruchtafeln, eine ganze Reihe symbolischer Leichenbahren und der dumpf angeschlagene Klang von Trommeln. In kurzen Ansprachen verdeutlichten Lothar Höfler vom  veranstaltenden Verein und der emeritierte Professor der Politikwissenschaft, Dr. Peter Grottian aus Berlin, den Grund und die Ziele der Kundgebung.


 An die "Diehlianer "gerichtet  
Nach etwa 90 Minuten vor den Toren von Diehl verwandelte sich die Kundgebung in einen Protest- und Leichenzug, der sich zu einer zweiten Kundgebung langsam den Weg hinunter zum Landungsplatz von Überlingen bewegte. 


 Der Leichenzug setzt sich in Bewegung  
Musikalisch wurde der Zug neben den Trommelrhythmen besonders bestimmt durch die spontan intonierten, klagend-fragenden Melodien, die Harald aus Vorarlberg seinem Tenor-Saxophon entlockte. 

Nur zweimal entlang des über drei Kilometer langen Weges - so die Beobachtung der Redaktion dieser Website -  wagten Menschen in Überlingen zu zeigen, dass sie das Anliegen der Demonstrierenden gut fanden. Sie klatschten mutig Beifall.

Weitere Gesten der Zustimmung gab es nicht. Kaum jemand zeigte sich an den Fenstern oder auf den Balkonen. Nichts durchbrach die beklemmende Atmosphäre dieses Leichenzuges. Wie recht hatte doch der oben genannte Journalist der ZEIT, als er über die Rüstungsbetriebe am Bodensee schrieb: „..kaum einer spricht darüber“.
 
   v.l.: L. Höfler u. Prof. Dr. P.Grottian am Landungsplatz
alle Bilder: Andrea Siedow
Dass die Mauer des Schweigens durchbrochen werden und dass die scheinbar einhellige Akzeptanz der Rüstungsproduktion widerlegt werden kann, das hat diese Veranstaltung allerdings deutlich beweisen.

Das dem Zug vorangetragene Transparent „Der Tod ist ein Meister aus Überlingen“ lehnt sich an die bekannten Worte des Dichters Paul Celan (1920-1950) an, der in seiner „Todesfuge“ schreibt: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Das Transparent bei der Kundgebung drückte aus, dass der Tod immer noch ein Meister aus Deutschland ist. Er hat in vielen Städten seinen Wohnsitz, auch im idyllischen Überlingen. 
 
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