Die AWC-Herbsttagung spannt weiten Horizont

Ein Kennzeichen der Tagung vom 14. und 15. September war neben der Tatsache, dass wieder kompetente Experten gewonnen werden konnten, besonders auch die Intensität des Diskurses und die lebendige Kommunikationsfreude der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Ingrid Schittich, die 1. Vorsitzende von AWC Deutschland, konnte bei der Eröffnung der Tagung wieder eine stattliche Zahl interessierter Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßen.

Am Freitagabend brachte Andreas Zumach sein Thema  „Die globale Zivilgesellschaft - Korrektiv staatlicher Politik weltweit“ in einen dialogischen Prozess mit den Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern ein, der alle in seinen Bann zog.



Andreas Zumach  [Bild: awc_ks]

Der erfahrene Journalist verband sein Redekonzept mit spontanen Reaktionen auf die Fragen und Kommentare des Publikums. Er ließ auf diese Weise ein äußerst facettenreiches diskursives Ensemble entstehen. 
Andreas Zumach legte seinen Ausführungen eine vorläufige Definition von Zivilgesellschaft zu Grunde: „Die Zivilgesellschaft, das sind alle Menschen, die sich außerhalb etablierter Strukturen, Institutionen und Organisationen für positive Veränderungen und Verbesserungen einsetzen.“ Sein von enormer Sachkenntnis geprägtes Referat entwickelte Andreas Zumach entlang der Fragen:
Wer ist die Zivilgesellschaft?
Wer gehört dazu, wer nicht?
Welche Erfolge hat sie bisher?
Was ist heute neu an der Zivilgesellschaft?
Wird Zivilgesellschaft eigentlich weiterhin gebraucht?

Auszüge aus dem Mitschnitt des Abends sind als Audiodatei bereitgestellt, wobei Beiträge von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen unberücksichtigt bleiben.

Dem Zivilen Ungehorsam als Salz in der Suppe einer öden Demokratie widmete sich Prof. Dr. Peter Grottian im ersten Beitrag am Samstagvormittag. Das Referat des Berliner Wissenschaftlers und zivilgesellschaftlichen Akteurs stand unter der Prämisse, dass in unserer Demokratie, auch in deren Geschichte, ohne Zivilen Ungehorsam kaum etwas läuft.

Prof. Dr. Peter Grottian  [Bild: awc_ks]

Peter Grottian untersuchte die Konstellationen für Zivilen Ungehorsam in der Bundesrepublik in vier Feldern: 
-Verhinderung von Rüstungsexporten und Waffenhandel
-Bankenregulierung und der Finanzkrise
- Soziales
-Entwicklung von Demokratie.
In allen vier Feldern konstatierte Prof. Grottian „ein riesiges Missverhältnis zwischen den Überzeugungen, die Bürgerinnen und Bürger haben, und der Bereitschaft, wirklich vom Sofa zu springen“. Am deutlichsten werde dies bei der sozialen Frage, wo Protest praktisch „abgeschafft“ sei. Im Moment sei der Verdruss an repräsentativer Demokratie ungeheuer hoch, aber es sei kein Zugewinn bei der Zivilgesellschaft und den zivilgesellschaftlichen Kräften zu verzeichnen.

Der Mitschnitt des Beitrags von Prof. Grottian ist ebenfalls als Audiodatei bereit gestellt.

Am Beispiel der NGO Transparency International (TI) untersuchte Privatdozent Dr. Sebastian Wolf die Chancen und Grenzen der Zivilgesellschaft bei der Korruptionsbekämpfung. Der Konstanzer Wissenschaftler legte eine präzise und zugleich engagierte Beschreibung der Arbeitsweise von TI vor. 

PD Dr. Sebastian Wolf  [Bild: awc_ks]

Freilich verblüffte Dr. Wolf auch mit auffälligen Beispielen. So berichtete er, dass ein längst fälliges, international eingefordertes Gesetz gegen die Bestechung von Abgeordneten klammheimlich in Berlin besonders von der Regierungskoalition verschleppt und blockiert wird. Das geschehe so heimlich, dass selbst die interessierten Studentinnen und Studenten seines Seminars im SS 2012 davon nichts gehört hatten. 

Die Powerpoint-Präsentation und der Mitschnitt seines Beitrags sind bereitgestellt.

Einen großen Schritt hinein in die europäische und deutsche Geistes- und Literaturgeschichte machte am Samstagnachmittag Berthold Lange, der Stifter und Vorsitzende der Freiburger Stiftung zur Förderung eines kantischen Weltbürger-Ethos.

Berthold Lange  [Bild: awc_ks]

 

Sein umfassendes, differenzierendes Referat führte tief in die Gedankenwelt des Philosophen Immanuel Kant hinein und stellte sie in eine produktive Beziehungsspannung zur Gegenwart. B. Lange bezog sich auf vier von Kant gestellte Orientierungsfragen des Menschen:
Was soll ich tun? 
Was kann ich wissen?
Was darf ich hoffen?
Was ist der Mensch?
Berthold Lange zeigte, dass die Einsicht, dass wir nicht nur Staatsbürger, sondern auch Weltbürger sind, bereits eine Erkenntnis der Aufklärung ist. Als Staatsbürger und als Weltbürger seien wir gefordert, darauf mit einer ethischen Haltung zu reagieren. Immanuel Kant habe schon 1795 die Konsequenzen aus einer fortschreitenden Globalisierung analysiert und überzeugend auf den Punkt gebracht.

Berthold Lange hat uns sein Referat freundlicherweise zur Veröffentlichung überlassen.

Im weiteren Verlauf des Nachmittags unternahmen es Prof. Dr. Rainer Fretschner und vier zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure gemeinsam, einerseits den Begriff „Zivilgesellschaft“ zu schärfen und andererseits zivilgesellschaftliche Praxis und Befindlichkeit vorzustellen.

Dem Sozialwissenschaftler Prof. Fretschner gelang es, den Begriff Zivilgesellschaft klar zu umreißen, wobei er eine alte Definition ,Zivilgesellschaft = jenseits von Markt und Staat‘ aufgriff.

Prof. Dr. Rainer Fretschner  [Bild. awc_ks]

 

Die Ausführungen von Dr. Fretschner stützten sich u.a. auf Gedanken von Jürgen Habermas, einem Klassiker der gegenwärtigen deutschen Philosophie und Soziologie. Der Beitrag von Rainer Fretschner stellte in seiner Dichte und Stringenz  eine weitere bedeutsame theoretische Verankerung der Tagung dar.

Das Referat von Prof. Fretschner und seine Powerpoint-Präsentation sind unten bereitgestellt.

Als Co-Moderator wirkte Rainer Fretschner feinfühlig dabei mit, dass die vier zivilgesellschaftlich aktiven Gäste viel Persönliches in das gemeinsame Gespräch einbrachten. Klaus Schittich hatte als Moderator den vier Akteuren eine Reihe von Fragen vorgelegt.

Tim Günther, Lothar Höfler, Renate Khurdok und Anne Waibel brachten sich als höchst verschiedene und höchst engagierte Persönlichkeiten in diesen Nachmittag ein. Vier verschiedene Lebenswege und vier verschiedene, zum Teil bewegend vorgetragene Motivationen spiegelten einen Ausschnitt der Zivilgesellschaft, der selten in dieser Weise öffentlich wird.
Es war zu spüren, dass eine Empfindung von moralischer Pflicht die vier Akteurinnen und Akteure verbindet. Einer Pflicht, die „jenseits von Markt und Staat“, also ohne Blick auf Machtgewinn oder wirtschaftlichen Vorteil entsteht und die Menschen antreibt.

Wir dokumentieren die Fragen an die Akteurinnen und Akteure. Das Podiumsgespräch war wie erwartet außerordentlich persönlich, deshalb wurde auf eine Aufzeichnung verzichtet.

Mit dem Film „Zur Hölle mit dem Teufel“ (Originaltitel: „Pray the devil back to hell“) ging die Tagung am Samstagabend zu Ende. Der Film zeigt die kaum fassbaren Ungeheuerlichkeiten des Bürgerkriegs in Liberia aber auch die einzigartige Entschlossenheit und Hingebung, mit der Frauen verschiedener Glaubensrichtungen im Jahre 2003 gewaltfrei für das Ende des Grauens und für den Frieden kämpften.

Eine Beschreibung des empfehlenswerten Films und ein Bezugsnachweis sind angegeben.


Anmerkung:  Die Audiodateien wurden von Heinz Eisele, Sentenhart, bearbeitet und für die Online-Veröffentlichung eingerichtet. Dafür dankt ihm die Redaktion sehr herzlich.



Zum Weiterlesen:

Presseartikel: Südkurier vom 19.09.2012

Begrüßung zur Tagung

>  Beitrag A.Zumach Teil 1:

>  Beitrag A.Zumach Teil 2:

>  Beitrag Prof. Dr. Grottian:



>  Beitrag PD Dr. Wolf [Powerpoint-Präsentation]

>  Beitrag PD Dr. Wolf:



>  Beitrag B.Lange [Textdatei]

>  Beitrag Prof. Dr. Fretschner [Powerpoint-Präsentation]

Fragen an die zivilgesellschaftlichen Akteure

 

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