Zwei Texte, zwei Stile - eine Ankündigung
Vorgelegt werden zwei Texte, die für verschiede Formen stehen, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen: Ein Jahresausblick von CODEPINK in den USA und eine aktuelle Zwischeninformation des Vereins „Freunde von Neve Shalom – Wahat al-Salam“ in Deutschland. Das Hineinhorchen, das Einordnen, das Bewerten überlassen wir unseren Leserinnen und Lesern.
Eher laut
In entschiedener, unnachgiebiger Sprache zählt CODEPINK, eine ursprünglich feministische, pazifistische Organisation für Frieden und Bürgerrechte, 10 Punkte1 auf, die zu Beginn des Jahres 2024 hoffnungsvoll stimmen sollen. Den ‚underlying tone’ bildet dabei das Leiden und Sterben der Menschen in Gaza. Doch immer wieder weitet sich der Blick hin zu anderen Orten und Situationen in der Welt, wo CODEPINK etwas Hoffnungsvolles vorfindet. Drei Beobachtungen:
- Allein der Punkt 5, „The BDS Movement is Alive and Kicking“ [etwa: „Die BDS-Bewegung lebt und ist in vollem Gange“] bedeutete vermutlich hier in Deutschland das Ende, nicht nur das mediale, von CODEPINK. Über eine solch begeisterte Anerkennung dieser Boykott-Bewegung würde bei uns in Deutschland die Dampfwalze des Anti-Antisemitismus rollen.
- Welch eisiger Wind den radikal auftretenden CODEPINK-Leuten auch in ihrer Heimat entgegenfaucht, deutet die folgende Episode an2::
„Code Pink members attended a Senate Armed Services Committee hearing in 2015 and called for Henry Kissinger's arrest for war crimes. John McCain, who was chairing the hearing, called for the Sergeant at Arms and the Capitol Hill Police to escort Code Pink out of the building and called after them "Get out of here you lowlife scum!"
[etwa: Mitglieder von Code Pink nahmen 2015 an einer Anhörung des Militärausschusses des Senats teil und forderten die Verhaftung Henry Kissingers wegen Kriegsverbrechen. John McCain, der die Anhörung leitete, forderte den Sergeant at Arms und die Capitol Hill Police auf, Code Pink aus dem Gebäude zu eskortieren, und rief ihnen hinterher: "Raus hier, ihr seid ein mieser Abschaum!“] - Für deutsche Gemüter muss der Satz am Schluss atemstockend daneben klingen: „This was the year that finally rid us of war criminals like Henry Kissinger, only to give rise to new ones.“ [etwa: „Es war das Jahr, das uns endlich von Kriegsverbrechern wie Henry Kissinger befreite, nur um neue hervorzubringen.“] Eine eindeutige, unnachgiebige Sprache, wie gesagt.
Eher leise
Der deutsche Verein „Freunde von Neve Shalom – Wahat al-Salam“ versorgt Mitglieder und Interessierte mit Halbjahresberichten und Zwischeninformationen zur Arbeit eines Friedensdorfes in Israel, eines Zusammenleben-Projekts für jüdische und palästinensische Israelis. Informationen zu dieser international beachteten und geförderten Versöhnungsarbeit bieten die Website des Projekts3 und Wikipedia4.
Am 23. November 2023 berichtet ein Team des ARD- Morgenmagazins aus dem Dorf. Sicherungszäune um die Schule, streng kontrollierter Zugang zu Schule, das Projekt scheint vom Krieg bedrängt, ja, existentiell bedroht zu sein. Der kurze, einfühlsame TV-Beitrag5 (4:47 min) ist ausgesprochen sehenswert.
Wie liest sich in dieser Situation die fünfseitige aktuelle Zwischeninformation6 des deutschen Vereins? Außerordentlich ruhig und gelassen sagen die Verantwortlichen des Vereins:
„…zugleich versuchen die Dorfgemeinschaft und ihre Bildungseinrichtungen so gut es geht, in einen Alltag zurückzufinden, die Brücken zwischen ihren beiden Völkern wieder aufzubauen, ihre Botschaft eines tatsächlich gelingenden Zusammenlebens nach außen zu tragen und weiterhin als Modell einer miteinander teilenden Gesellschaft zu dienen.“
Eine nüchterne, geduldige Sprache, ohne exaltierte Wut, frei von simplifizierenden Schuldzuweisungen. Das „tatsächlich gelingende[s] Zusammenleben[s]“ scheint das Stichwort zu sein, die Zauberformel. Hinter der schlichten Vokabel tut sich ein Modell unbegrenzter Dimensionen auf – nicht nur für dieses Dorf. 100 Familien leben z.Zt. im Friedensdorf, auf 150 Familien ist es ausgelegt. Seine Grundschule und sein Fortbildungszentrum ‚School for Peace‘ (SfP) sind Begegnungs- und Lernorte für Kinder wie Erwachsene, für Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner, Familien aus dem Umland sowie für Besucherinnen und Besucher. Dieses gelingende Zusammenleben ist selbst-ermutigend und authentisch. Es scheint auch zu einem bestimmten Selbstbewusstsein zu führen.
Dieses spiegelt sich – politisch höchst brisant – in den Leitsätzen für die SfP (s. 3 der Zwischeninformation). Der wohl mutigste Satz daraus:
„Die SfP tritt mit allem Nachdruck für einen sofortigen Waffenstillstand, ein Ende der Besatzung, Belagerung und Unterdrückung und für ein Ende aller Gewalt und Vorherrschaft einer der beiden nationalen Gruppen über die andere ein.“
Dieses gelingende Zusammenleben, diese gelebte Politik, wenn auch nur von wenigen Hundert Menschen, bietet trotzdem ein im Kern wahrhaft globales, kosmopolitisches Modell an.
Eher gar nicht?
Wir können und wollen – das sei nochmals betont – hier lediglich zu eigenem Nachdenken einladen, keine Urteile fällen. Welche der vielen Möglichkeiten und Formen, sich für Frieden und Gerechtigkeit zu engagieren, mehr oder weniger richtig, mehr oder weniger falsch sind, diese Frage bleibt offen.
Wir nehmen an, dass unsere Leserinnen und Leser mit uns darin einig sind, die dritte Option im Titel dieses Beitrags: „eher gar nicht?“ sei allenfalls eine rhetorische Frage. Denn diese Option sollte ein selbstverständliches, kollektives No-Go darstellen. Sollte. Aber leider nur: Sollte.
Mit der Formel „antrainierte Gleichgültigkeit“ wird gelegentlich versucht, die politische Überlebensstrategie der Menschen in autoritären Systemen zu beschreiben. Diese Formel wird Ausgangspunkt eines kommenden Artikel sein, wo wir die Gleichgültigkeit in unserem Land hinterfragen wollen.
k.sch.
- CODEPINK, 10 Punkte: engl. Original, deutsche Übersetzung
- zit. nach Wikipedia (englisch) Hervorhebungen durch d.i.b.-reaktion
- Website des Projekts (engl.)
- Wikipedia
- ARD-Morgenmagazin
- Zwischeninformation, Februar 2024
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